Den Profi gefragt: Wie stark belasten E-Autos das Stromnetz?

Immer wieder wird in den Medien öffentlichkeitswirksam diskutiert, ob die deutschen Stromnetze eigentlich fit für die elektromobile Zukunft sind. Manche befürchten sogar, dass in ganzen Straßen der Strom ausfallen könnte, wenn eine gewisse Anzahl an gleichzeitig ladenden Autos in der Nachbarschaft überschritten wird. Wir wollten wissen, ob solche Ängste eigentlich berechtigt sind und wie sich unser Netzbetreiber in Solingen, die Netze Solingen (eine Tochter der Stadtwerke Solingen), auf den erhöhten Strombedarf der nächsten Jahre vorbereitet.

Dazu haben wir mit dem Abteilungsleiter und Planungsingenieur Petar Dešković der Netze Solingen gesprochen.

Klingenstromer: Hr. Deskovic, gerade hat Deutschland die USA bei den Neuzulassungen überholt, immer mehr vollelektrische Autos fahren auf unseren Straßen. In Solingen wurden nach Angaben des Kraftfahrbundesamts im Jahr 2019 172 neue E-Autos zugelassen, 2020 waren es schon 263. Dieser Zuwachs macht sich doch bestimmt auch bei den Anmeldezahlen für heimische Ladestationen, die sog. Wallboxen, bemerkbar, oder?

Dešković: Auf jeden Fall. In den letzten drei Jahren haben sich die Anmeldezahlen für Wallboxen jeweils verdreifacht. Besonders die staatliche Förderung beim Kauf von E-Autos und bei der Installation einer privaten Ladestation hat bewirkt, dass sich viele Solingerinnen und Solinger mit dem Thema E-Fahrzeug beschäftigt und einige dann auch einen Stromer gekauft haben. Natürlich ist uns bewusst, dass das Thema Elektromobilität in Zukunft noch deutlich mehr Fahrt aufnehmen wird. Das Jahr 2020 haben wir von den Netzen wie einen Startschuss empfunden, nach dem Motto: Jetzt geht es richtig los!

Klingenstromer: Und welche Konsequenzen ziehen Sie daraus? Wie können die Stromnetze in Solingen mit dieser Entwicklung Schritt halten?

Dešković: Wir erwarten, dass der weitere Zuwachs von Elektrofahrzeugen zunehmend stark erfolgen wird. Diesen beobachten wir ganz genau und bereiten uns entsprechend vor. Dazu erstellen wir Prognosen. Wegen der Ungenauigkeit bei den Vorhersagen zur Entwicklung des E-Fahrzeug-Marktes berücksichtigen wir mehrere Szenarien. Auf Basis verschiedener Studien haben wir ein optimistisches und ein konservatives Szenario entwickelt. Zwischen diesen beiden Polen liegt unser Entwicklungs-Korridor für den erforderlichen Netzausbau der nächsten Jahre. Natürlich werden diese Szenarien ständig aktualisiert.

Wir erwarten, dass der weitere Zuwachs von Elektrofahrzeugen zunehmend stark erfolgen wird.

Petar Dešković von Netze Solingen

Klingenstromer: Welche weiteren Maßnahmen treffen Sie, um auf die Entwicklung der Elektromobilität rechtzeitig reagieren zu können?

Dešković: Im gesamten Solinger Stadtgebiet gibt es derzeit rund 750 Netzstationen, über die wir einen großen Teil der Privathaushalte  mit Strom versorgen. Mit Hilfe der Netzstationen überwachen wir die ausgehenden Stromleitungen und den benötigten Strombedarf der angeschlossenen Häuser über einen langen Zeitraum hinweg. Diese Erkenntnisse fließen in unsere Prognosen mit ein. Sollte es erforderlich sein, können wir durch dieses genaue Monitoring außerdem rechtzeitig erkennen, wenn eine Verstärkung unserer Betriebsmittel wie z.B. Kabel oder Transformatoren nötig werden sollte.

Klingenstromer: Was besagen denn Ihre Beobachtungen für die Zukunft? Sind die Solinger Netze für einen weiteren Zuwachs von E-Fahrzeugen, worunter ja auch E-Bikes, E-Roller und Busse wie die BOBs der Solinger Verkehrsbetriebe fallen, gewappnet?

Dešković: Auch wenn das Thema E-Mobilität in aller Munde ist, anhand der Neuzulassungszahlen von E-Autos, der bisher neu hinzugekommenen privaten Ladestationen und unseren fundierten Prognosen für die Zukunft wird es bei den Kapazitäten unserer Stromnetze so schnell nicht eng werden. Wir beobachten die Lage genau und verstärken das Stromnetz frühzeitig dort, wo es nötig ist. Auch die aktuell vier BOBs, die im Dauereinsatz auf Solingens Straßen fahren und die zwei weiteren im Testbetrieb haben wir schon vor langer Zeit als weitere Stromabnehmer eingeplant.

…..wird es bei den Kapazitäten unserer Stromnetze so schnell nicht eng werden.

Petar Dešković von Netze Solingen

Klingenstromer: Und wenn es doch zu Netzverstärkungen in größerem Stil kommen sollte – wer trägt dann die Kosten? Werden die an die Kunden weitergegeben?

Dešković:  Wie schon gesagt, eine Netzüberlastung entwickelt sich nicht von heute auf morgen. Da wir frühzeitig und intensiv den Bedarf beobachten und Netzverstärkungen über einen langen Zeitraum hinweg kontinuierlich vornehmen, kommt es dadurch gar nicht zu so hohen Kosten. Unabhängig von der Elektromobilität haben wir immer schon regelmäßig in unsere Netze investiert, um die Netzstabilität auf einem gleichbleibend hohen Niveau zu halten. Bedingt durch die E-Mobilität erfolgen nun auch nach und nach Investitionen an anderen Stellen.

Klingenstromer: Stichwort „netzdienliches Laden“: Was halten Sie davon?

Dešković:  Netzdienliches Laden bedeutet, dass der Netzbetreiber zum Beispiel einem Hausbewohner auf freiwilliger Basis und nach gemeinsamer Absprache ein bestimmtes Zeitfenster vorgibt, in dem die Ladeleistung reduziert ist. Das ist besonders wichtig in Stoßzeiten, zum Beispiel ab 19 Uhr, wenn viele Menschen nach der Arbeit nach Hause kommen, die Waschmaschine starten, kochen usw. Auf diese Weise kann das Netz insgesamt sinnvoll entlastet werden und der Hausbewohner bekäme vom Netzbetreiber dafür einen Kostenvorteil. Daneben gibt es auch das das sog. intelligente Lademanagement. Das sorgt dafür, dass zusätzlich vorhandene Stromkapazitäten, zum Beispiel nachts, wenn die meisten Menschen schlafen und viele Elektrogeräte ausgeschaltet sind, für das Laden von Elektrofahrzeugen genutzt werden können. So etwas wird auch gerade bei uns intern überprüft, inwiefern wir das für Solingen nutzen und wo wir es sinnvoll zum Einsatz bringen könnten. Außerdem werden wir in Zukunft auch verstärkt auf Smart Grid Technologie setzen. Durch solche intelligente Stromnetze (Smart Grids) sollen Stromerzeuger, Stromspeicher und Stromverbraucher so vernetzt und gesteuert werden, dass sie optimal miteinander verbunden sind und die Energieversorgung effizient und zuverlässig sicherstellen. Wir möchten mit dieser Technologie den Strombedarf in Solingen noch effizienter überwachen – sozusagen als Warnampel vor möglicherweise kritischen Netzsituationen.  Damit wir diese auf Dauer vermeiden können, sind wir aber auch auf die Unterstützung der Solingerinnen und Solinger angewiesen.

Klingenstromer: Welchen Beitrag sollten denn die Solingerinnen und Solinger leisten?  

Dešković: Alle Ladestationen mit einer Leistung von ≥ 3,6 kVA sind laut VDE-AR-N 4100 sogar meldepflichtig. Das bedeutet, dass die Inbetriebnahme einer Ladeeinrichtung für Elektrofahrzeuge mit einer Ladeleistung bis einschließlich 12 kVA dem Netzbetreiber, in Solingen also uns, von den Netzen Solingen, im Vorhinein mitzuteilen ist. Überschreitet die Summen-Bemessungsleistung der Wallbox diese 12 kVA, ist außerdem die vorherige Zustimmung des Netzbetreibers notwendig. Es ist also unbedingt nötig, die Wallbox vor ihrer Installation anzumelden und auf die Genehmigung zu warten, bevor man sie in Betrieb nimmt. Die Errichtung und Anmeldung einer Ladeeinrichtung darf nur durch ein in ein Installateursverzeichnis eingetragenes Elektroinstallationsunternehmen ausgeführt werden.

Für uns ist die Anmeldung einer neuer Wallbox sehr wichtig, damit wir den damit verbundenen erhöhten Strombedarf einplanen und ggf. darauf reagieren können. So kann jeder zukünftige E-Mobilist mithelfen, dass es in Solingen tatsächlich nicht zu Überlastungssituationen kommt.

Petar Dešković von Netze Solingen

Quellen:

Neuzulassungen E-Autos allgemein: https://www.spiegel.de/auto/elektromobilitaet-deutschland-ueberholt-usa-bei-e-auto-neuzulassungen-a-70cc9f19-5904-4ffa-964a-75db553a41b5

Anmeldepflicht bei Wallboxen: https://www.smarter-fahren.de/nachrichten/wallbox-meldepflicht/

Kraftfahrbundesamt, statistische Daten zu Neuzulassungen, u. a. in Solingen: https://www.kba.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Statistik/Fahrzeuge/Fahrzeuge_Formular.html?nn=2601628&cl2Categories_Berichtsjahr=2020&cl2Categories_Unterthema=motorisierung&submit=Senden&resultsPerPage=15&templateQueryString=solingen&sortOrder=dateOfIssue_dt+desc+title_sort+desc

Smart Grid Technologie: https://www.smarter-fahren.de/smart-grid/